„Viele kleine Bausteine“

Bundestrainerin Sabine Tschäge im großen Interview zur Olympia-Saison

Die Athleten vom Stützpunkt Dortmund sind Anfang Oktober in die Olympia-Saison eingestiegen, mit einem Rad-Trainingslager auf Mallorca und nun seit mehr als zwei Wochen in den Ruderbooten auf dem Dortmund-Ems-Kanal. Mit dem Ergometertest und der Langstrecke in Dortmund steht der erste Wettkampf kurz bevor (2./3.12.). Doch auch das große Ziel dieser Saison, die Olympischen Spiele 2024 in Paris, ist nur noch gut acht Monate entfernt. Im großen Interview spricht Bundestrainerin Sabine Tschäge über die Lehren aus der vergangenen Saison, die Entwicklung des Teams und welche Puzzleteile bis Olympia passen müssen.

Wir starten mit einem kleinen Rückblick: Wie schaust du auf die vergangene Saison des Deutschland-Achters zurück?

Sabine Tschäge: Das wichtigste Ereignis war, dass wir uns mit dem Deutschland-Achter für Olympia qualifizieren konnten. Ansonsten hat die Saison gemischte Gefühle hinterlassen. In den Rennen war es ein Auf und Ab. Es ist nicht alles so gelaufen, wie wir es wollten. Man darf aber nicht vergessen, dass wir im Feld eine der jüngsten Mannschaften waren und mit der wenigsten Erfahrung – die anderen sind durchschnittlich zweieinhalb Jahre älter gewesen und kamen auch nicht aus dem luftleeren Raum. Wir haben aber mit jedem Kilometer dazugelernt und auch gezeigt, dass wir es können.

Was für Erkenntnisse habt ihr in die neue Saison mitgenommen?

Sabine Tschäge: Wir wissen, dass wir an der zweiten Rennhälfte arbeiten müssen, damit wir auch unter Druck die Technik und unsere Marschroute aufrechterhalten können. Die Erfahrungen der letzten Saison helfen uns jetzt, weil alle den Trainingsalltag und die Idee, was wir verlangen, richtig drin haben. Im Training klappt das Achterfahren deutlich besser, das Verständnis ist größer und die Jungs sind besser aufeinander abgestimmt. Wir müssen versuchen, unsere Leistung jetzt zu stabilisieren und individuell alles rauszukitzeln.

Was für eine Entwicklung hat das junge Team genommen?

Sabine Tschäge: Das Team hat eine sehr positive Entwicklung genommen. Die jungen Ruderer wissen jetzt, was es bedeutet, im A-Bereich Rennen zu fahren und was für ein Potenzial sie noch haben. Der Umbruch nach den Spielen in Tokio war insgesamt aber sehr groß, dazu hatten wir zwei Ruderer aus dem Olympia-Achter, die im Abschluss ihrer Ausbildung steckten. Dieses Jahr ist das zum Glück nicht so.

In Tokio hast du noch den leichten Doppelzweier betreut, dann kam der Wechsel nach Dortmund und in dieser Saison hast du den Deutschland-Achter übernommen. Wie konntest du dich als Trainerin in diese neue Rolle einfinden?

Sabine Tschäge: Es ging direkt mit Vollgas los. Das war alles schon sehr schnell für mich. Wenn ich zurückblicke, wie es gekommen ist, denke ich aber, dass ich es ganz gut gemeistert habe. Ich hätte mir eine einfachere Saison gewünscht, aber es ist so auf jeden Fall nie langweilig geworden: Es kamen immer neue Herausforderungen, da wächst man auch dran.

In der olympischen Saison werden die Karten nochmal neu gemischt. Wie blickst du auf den Kader?

Sabine Tschäge: Es herrschen für alle die gleichen Voraussetzungen. Wir starten mit einem 24-köpfigen Team in die Saison, das wollen wir auf solide Beine stellen. Wir haben ein paar Neuzugänge und dadurch noch mehr individuelle Klasse hinzugewonnen. Die Auswahl auf beiden Seiten ist größer geworden und ich blicke zuversichtlich nach vorne. Wir wollen aber auch zukunftsweisend denken, damit wir die Jungen so weit ranschieben, dass es im Hinblick auf den nächsten olympischen Zyklus nicht so eine große Lücke gibt – denn auch nach Olympia 2024 könnten wieder Sportler ihre Laufbahn beenden, auch wenn ich hoffe, dass viele von denen nach Paris sagen, dass sie weitermachen. Wir wollen den jungen Sportlern schon Trainingsinput und Wettkampferfahrung mitgeben.

Wie ist der Start ins Training gelaufen?

Sabine Tschäge: Wir sind diesmal einen ein bisschen anderen Weg gegangen durch den Start im Rad-Trainingslager auf Mallorca. Der Schwerpunkt lag auf dem Grundlagentraining, das hat gut geklappt. Am Stützpunkt in Dortmund sind wir seitdem ins Boot gegangen, auch das war ein guter Einstieg. Die Jungs sind fit und wir konnten sofort technisch arbeiten.

Der erste Zweier-Wettkampf steht bevor. Wie schwierig ist jetzt der Spagat zwischen der Entwicklung im Großboot und dem Konkurrenzkampf im Zweier?

Sabine Tschäge: Wir entwickeln beides parallel. Wir wissen, dass wir keine vollumfängliche Vorbereitung im Zweier laufen lassen können, aber auch das Großboottraining hilft weiter für das Kleinboot. Die Langstrecke und der Ergotest werden dann die erste Zwischenstation auf dem Weg zu Olympia. Für uns ist das Wochenende wichtig, um zu gucken, wo wir stehen.

Worauf kommt es in den kommenden Monaten vor Olympia an?

Sabine Tschäge: Wir wollen zunächst im Grundlagentraining weiterkommen und uns gleichzeitig ruderisch entwickeln. Das ist ein immerwährender Prozess, es ist wichtig, dass die Basis stimmt. Für uns als Trainerteam wird es die Mammutaufgabe, das richtige Team zu finden. Der Deutschland-Achter ist für Olympia qualifiziert, aber wir wollen auch den Zweier und Vierer angehen. Es wird knifflig, die Boote zu formieren. Die Wettkampfphase ist dann recht kurz, vor allem für die Boote, die sich noch nachqualifizieren müssen. Für uns ist es wichtig, von Anfang an gut ins Geschehen reinzukommen. Ich bin überzeugt, dass wir deutlich besser starten können als in der letzten Saison.

Welche Puzzleteile müssen bis Olympia passen?

Sabine Tschäge: Wir müssen die richtige Mischung finden. Wir trauen es grundsätzlich allen Athleten aus unserem Kader zu, sich ins Team zu rudern. Dann müssen wir das abrufen, was wir uns bis dahin erarbeitet haben. Die Weltspitze ist eng zusammengerückt, auch die Briten waren in der letzten Saison nicht unschlagbar. Beim Weltcup in Varese hatten wir einen Podiumsplatz, bei der WM haben 1,4 Sekunden gefehlt. Wir haben die Hoffnung, bei Olympia daranzukommen und in der Weltspitze mitzurudern. Es sind viele kleine Bausteine, um es dahin zu schaffen. Daran arbeiten wir jeden Tag.

17.11.2023 | Interview: Felix Kannengießer

 

Bundestrainerin Sabine Tschäge.

Termine

Olympische Spiele in Paris:
Achter: Vorlauf (Mo., 29.7., 11.40 Uhr): NED, GER, ROU, USA; Hoffnungslauf (Do., 1.8., 10.20 Uhr); Finale (Sa., 3.8., 11.10 Uhr)
Zweier ohne Steuermann (So., 28.7., 11.20 Uhr): AUS, GBR, GER, RSA; Hoffnungslauf (Mo., 29.7., 10.20 Uhr); Halbfinale (Mi., 31.7., ab 10.34 Uhr); B-Finale (Fr., 2.8., 10.42 Uhr); A-Finale (Fr., 2.8., 11.30 Uhr)

SH Netz Cup in Rendsburg (6.-8. September 2024)

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