Eine Zeitreise durch die Rudergenerationen
Ralf Holtmeyer blickt zurück auf über 40 bewegende Trainerjahre. Das Ruderleistungszentrum verabschiedet den Erfolgstrainer am Sonntag in den Ruhestand.Der Rudersport ist sein Leben. Als Trainer prägte ihn Ralf Holtmeyer maßgeblich, auf eindrucksvolle Weise – und mit großem Erfolg: Er führte den Deutschland-Achter zu zwei Olympiasiegen, zweimal zu olympischem Silber und zu einer olympischen Bronzemedaille. Er gewann insgesamt acht (!) WM-Titel mit dem Deutschland-Achter, wurde dazu noch Weltmeister mit dem Frauenachter und war auf den internationalen Regattaplätzen als beachteter Erfolgstrainer bekannt. Am Sonntag wird Holtmeyer vom Ruderleistungszentrum Dortmund offiziell verabschiedet. Im ausführlichen Gespräch blickt er auf seine über 40-jährige Zeit als Rudertrainer zurück und schwelgt in so manchen Erinnerungen. Eine Zeitreise durch die verschiedenen Rudergenerationen…
Wie ging es eigentlich los? Wie bist Du Rudertrainer geworden?
Ralf Holtmeyer: Es war eher Zufall: 1975 hatte ich einen Motorradunfall und konnte durch eine Schulterprellung selbst keinen Sport treiben. Damals suchte der Osnabrücker Ruderverein einen Trainer. Ich war noch Schüler und hatte eine Schülerruderriege trainiert –und dann besuchte mich der Vereinsvorsitzende zu Hause. Ich wollte das erst nicht, weil das Vereinsleben – zumindest bei uns – verpönt war und es dort eher spießig zuging. Doch mein Vater hat mich überredet. Ich war dann der erste Trainer im Verein.
Wie hat es sich dann entwickelt in Osnabrück?
Ralf Holtmeyer: Es ging ganz gut los. Mit dem Vereins-Vierer sind wir 1978 Junioren-Weltmeister geworden, ein Jahr später haben wir den zweiten Platz bei der JWM in Moskau hinter Russland belegt. Ein weiteres Jahr später haben wir mit einer ganz jungen Vereinsmannschaft bei der Regatta in Mannheim mit dem Achter die starken Russen und den DRV-Achter geschlagen. Die Ruderer sind unbekümmert an die Sache rangegangen und ich fand mich trotz meiner 24 Jahre schon ganz schön erwachsen und habe mich auch gegenüber dem Verband durchgesetzt, dass wir auch mit dem Achter am Rotsee in Luzern starten können – und dort haben wir mit Platz fünf dann auch die Olympia-Qualifikation geschafft.
Dann kam der Boykott…
Ralf Holtmeyer: Das war natürlich Mist. Die Mannschaft hatte einen Altersdurchschnitt von 20 Jahren, bei Olympia hätten wir viel gelernt. Daraus wurde dann leider nichts – und die Mannschaft fiel auseinander. Die Ruderer wollten studieren und waren über Deutschland verteilt.
„Nach Kopenhagen haben wir die richtigen Konsequenzen gezogen“
Für Dich kam dann bald der Ruf aus Dortmund…
Ralf Holtmeyer: Ja, im Herbst 1985 hat mich Klaus Walkenhorst nach Dortmund gelockt und anfangs auch sehr gefördert. In Dortmund, das ja geographisch gut liegt, hatte ich eine gute junge Truppe, aus der sich der Achter und ein Vierer mit Steuermann gebildet hat. Wir sind mit einem Finalplatz bei der WM 1986 gestartet, das war okay. Enttäuschend war ein Jahr später aber der sechste Platz mit dem Achter bei der WM in Kopenhagen – da sind wir mit ziemlichem Abstand hinterhergefahren. Daraus haben wir aber die richtigen Konsequenzen gezogen. Wir haben dann konsequent auf individuelle Leistung und die Kleinbootselektion gesetzt.
Das war der Beginn des heute noch gängigen Selektionsprozesses…
Ralf Holtmeyer: Ich hatte es vorher schon im Kopf, dass die Bootsleistung ausschlaggebend sein sollte. Dadurch haben wir mehr Stabilität in den Achter bekommen – und wir haben Bahne Rabe überredet, es auf der Schlagposition zu probieren. Das hat insgesamt voll eingeschlagen: Bei der ersten Regatta in Essen haben wir dem DDR-Achter als Vize-Weltmeister zehn Sekunden abgenommen – die waren geschockt. Und dann sind wir ja auch zum Olympiasieg gefahren.
Das war der Beginn einer Ära…
Ralf Holtmeyer: Das wir im Folgejahr mit einer nahezu komplett neuen Mannschaft gleich Weltmeister wurden, war beeindruckend, aber aus dem völligen Nichts kam das auch nicht. Die Basis im U23-Bereich war vorhanden, dafür hatte Manni Beyer gesorgt. Er war schon ein eigenwilliger Typ mit Ecken und Kanten, mit ihm konnte ich mich gut streiten, hinterher aber auch wieder ein Bier trinken.
„Wer diese Regatta gewinnt, hat den Schlüssel zur Einheit“
Es gelangen drei Weltmeister-Titel hintereinander in der Wendezeit…
Ralf Holtmeyer: Der Ost-West-Konflikt hat die Balance schon kräftig durcheinandergewirbelt. Die DDR hatte vielmehr Ruderer und Trainer, doch wir konnten uns als Leitstützpunkt Männer-Riemen behaupten. Ich kann mich noch gut an die Regatta 1990 in Essen erinnern. Da kam der Spruch aus dem Osten: Wer diese Regatta gewinnt, hat den Schlüssel zur Einheit – hat also das Sagen. Nur wir haben dann die Regatta gewonnen. Denn der große Unterschied war: Beim Zusammenrudern im Achter hatten wir die Kompetenz, da waren wir überlegen.
1992 gab es dann nach langer Zeit mal wieder einen gesamtdeutschen Achter bei Olympia.
Ralf Holtmeyer: Das war aber ein Fehler. Das passte nicht so gut, weil wir Jahrzehnte nicht zusammen gerudert sind. Mike Spracklen – den Briten würde ich als meinen größten Trainerrivalen über die vielen Jahre bezeichnen – hat einmal zu mir gesagt: Das einzige Mal, wo ich so richtig verloren habe, war 1992 in Barcelona (Bronze). Da liegt er nicht ganz so falsch, denn bei dem Potenzial an Ruderern hätten wir anders kombinieren und letztlich schneller sein müssen. Vier Jahre später, 1996 in Atlanta (Silber), waren die Holländer stärker – das muss man einfach sagen. Da hätten wir nicht viel anders machen können.
„Frauen nehmen dich als Trainer emotional mehr mit“
Wie war die Zeit als Trainer des Frauenachters rückblickend?
Ralf Holtmeyer: Frauen nehmen dich als Trainer emotional mehr mit, wenn es gut läuft. Und es lief ja. Wir sind Weltmeister geworden, haben einige Medaillen in den acht Jahren gewonnen. Für mich als junger Familienvater war es nur schwierig, immer zwischen Dortmund und dem Stützpunkt in Saarbrücken zu pendeln. Ich war viel unterwegs. Das ist das Einzige, was ich so richtig bedauere im Nachhinein: Das Familienleben mit kleinen Kindern kann man später nicht mehr nachholen. Mein Glück ist, dass ich mit Kerstin eine Frau habe, die voll hinter dem Rudersport steht. Das war bei Renate Beyer, der Frau von Manni, übrigens genauso. Bei den Beyers haben seinerzeit einige Sportler – Bahne Rabe oder Stefan Scholz zum Beispiel – zu Hause gewohnt. Ein starker Rückhalt für mich war um 2000, als es nach 15 erfolgreichen Jahren mal nicht mehr lief und gleich alles in Frage gestellt wurde, auch Norbert Böhmer. Ich habe stark an mir selbst gezweifelt, aber er hat mich gut beraten und stabilisiert.
Und dann kam ab 2009 die zweite Holtmeyer-Ära mit dem Deutschland-Achter…
Ralf Holtmeyer: Der Beginn war ein harter Kampf. Hartmut Buschbacher, der damalige Cheftrainer des DRV, wollte zunächst auf Dezentralisierung setzen und zuerst gar keinen Achter fahren lassen. Das waren harte Auseinandersetzungen, aber wir haben uns letztlich durchgesetzt.
Und der Achter ist im kompletten Olympia-Zyklus ungeschlagen geblieben…
Ralf Holtmeyer: Ja, ich wusste vorher: Die können mehr, als sie in Peking gezeigt haben. Und dazu hatten wir zwei gute Vierer, die Ruderer waren insgesamt gut miteinander kombinierbar. Das war der Grundstock. Dazu kamen ein paar wichtige Prinzipien: Wir waren prinzipiell offen – auch als es lief, haben wir immer wieder neue Ruderer eingebaut – und wir hatten Mut zur Disziplin. Bedeutend ist auch: Man muss als Trainer das Gesamtgefüge im Blick behalten und es mitunter ausbalancieren.
„Man muss die Sportler mitnehmen und respektieren. Das sind intelligente, junge Menschen.“
Zum Abschluss beim Deutschland-Achter gab’s noch mal Silber…
Ralf Holtmeyer: Es war gar nicht so gedacht, dass Rio der Abschluss sein sollte. Es war mit Uwe Bender so besprochen, dass er den Deutschland-Achter für ein Jahr trainiert und ich dann wieder übernehme. Nur weil es gut lief und ich den Eindruck hatte, dass mich die Mannschaft gar nicht mehr wollte, habe ich das Amt des leitenden Bundestrainers beim Deutschen Ruderverband angenommen. Die durch die Corona-Pandemie verlängerte Vorbereitung auf Tokio war nicht einfach. Für die Ruderer war es extrem schwierig, nach der Olympia-Verschiebung die Spannung noch einmal maximal aufzubauen. Das hat der Achter gut geschafft. Bei mir war die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Ruderverband schwierig.
Wenn Du auf die über 40 Jahre zurückschaust: Worauf kommt es beim Rudersport an?
Ralf Holtmeyer: Man muss gemeinsame Ziele und ein gemeinsames Werte- und Normengerüst haben. Man muss die Sportler grundsätzlich mitnehmen und respektieren. Das sind intelligente, junge Menschen, die ehrgeizig sind. Bei einigen muss man mehr Druck machen, bei anderen muss man Druck rausnehmen. Das macht Mannschaftssport aus.
Jetzt kommt der Ruhestand. Dem Rudersport wirst Du aber sicher erhalten bleiben, oder?
Ralf Holtmeyer: Ich bin innerlich ruhiger geworden, aber ich habe das Ganze für mich noch nicht abgeschlossen. In irgendeiner Art und Weise werde ich dem Rudersport verbunden bleiben, ich weiß aber noch nicht genau wie. Zunächst muss ich mir beim Ruderclub Hansa Dortmund erst mal einen Spind besorgen.
08.04.2022 | Interview: Carsten Oberhagemann
Ralf Holtmeyer mit seiner „Glücksjacke“.
Immer den Achter im Blick: Bei der Trainerarbeit im Motorboot.
Bei der Henley Royal Regatta.
In Londen beim zweiten Olympiasieg, zusammen mit Werner Nowak.
Bei der Bootstaufe in Dortmund mit Manni und Renate Beyer.
Silber in Rio um Abschluss seiner langen Zeit mit dem Deutschland-Achter.
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